In Deutschland sind rund drei Viertel der insgesamt 21 Millionen Gebäude energetisch ineffizient. Viele sind unsaniert oder nur teilweise saniert – und verbrauchen dadurch bis zu fünfmal so viel Energie wie moderne, gut sanierte Gebäude.
Um bis 2045 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, müssten täglich etwa 2.000 Gebäude umfassend saniert werden. Doch dafür fehlen derzeit die nötigen Fachkräfte.
Deshalb ist klar: Die Gebäudesanierung muss neu gedacht werden – automatisierter, einfacher und digitaler. Nur so können wir die Energiewende im Gebäudesektor schaffen und die Klimaziele erreichen.
Mathis Korn, Leiter Kommunikation im Projekt SmartQuart sprach mit Dr. Lars Knutzen, um mehr über das Thema und die Möglichkeiten der Bürger*innen vor dem anstehenden Bürgerdialog am 10.07. in der VHS Essen zu erfahren.
Herr Dr. Knutzen, stellen Sie sich unseren Lesern gern selbst vor und lassen uns daran teilhaben, was hinter Ihrer Motivation für das Thema „KlimaFIT im Bestand – Sanieren mit Weitblick“ steckt, diese so engagiert im Rahmen der Grünen Hauptstadt Agentur Essen nach vorne zu bringen.
Ich bin als Bauingenieur und Bauphysiker bei der Stadt Essen tätig und leite dort das Sachgebiet für wärme- und energierelevante Fragestellungen innerhalb der Grünen Hauptstadt Agentur. Die Grüne Hauptstadt Agentur engagiert sich intensiv für den Klimaschutz im Essener Stadtgebiet.
Ein zentrales Anliegen ist die Energiewende – eine Herausforderung, die nur gemeinsam bewältigt werden kann: durch das Engagement der Stadt, aber auch durch die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft, von Unternehmen, Vereinen und jedem einzelnen Bürger. Jeder kann einen Beitrag leisten, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen und die Erderwärmung so weit wie möglich zu begrenzen – zum Schutz unserer gemeinsamen Zukunft.
Die Energiewirtschaft hat bereits viel erreicht. Auch im Neubau von Wohn- und Gewerbegebäuden wurden deutliche Fortschritte erzielt. Im Bereich des Bestandsbaus hingegen besteht noch erheblicher Nachholbedarf. Oft bestehen hier Unsicherheiten – etwa bei der Finanzierung oder hinsichtlich eines verlässlichen politischen Fahrplans.
Genau an diesem Punkt setzt unsere Motivation an: Wir als Grüne Hauptstadt Agentur möchten Orientierung geben, bei Fragen und Unsicherheiten beratend zur Seite stehen und über verschiedene Fördermöglichkeiten aufklären. Dieses Angebot wird bereits intensiv über den KlimaTreff der Grünen Hauptstadt Agentur genutzt (www.essen.de/klimatreff).
Unser Ziel ist es, Eigentümerinnen und Eigentümer sowie Verantwortliche dabei zu unterstützen, ihre Gebäude zukunftsfähig und klimafreundlich zu sanieren.
Herr Dr. Knutzen, warum spielt der Gebäudebestand eine so zentrale Rolle für die Wärmewende – insbesondere in einer Stadt wie Essen mit einem hohen Anteil älterer Bausubstanz?
Der Gebäudebereich spielt eine zentrale Rolle bei der Wärmewende – insbesondere in Städten wie Essen, die über einen hohen Anteil älterer Bausubstanz verfügen.
Im Jahr 1990 wurden in Deutschland im Gebäudebereich rund 143 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ausgestoßen. Bis 2023 konnte dieser Wert auf geschätzte 102 Millionen Tonnen reduziert werden. Das Klimaschutzgesetz sieht jedoch für das Jahr 2030 einen Zielwert von lediglich 67 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten vor. Daraus ergibt sich ein erheblicher Handlungsbedarf – nicht nur für Essen, sondern für alle Städte und Gemeinden in Deutschland.
Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, ist eine umfassende Sanierung des Gebäudebestands unerlässlich. Gleichzeitig muss die Wärmeversorgung konsequent auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Effiziente Technologien wie Wärmepumpen nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein.
Wichtig ist dabei: Nicht jedes Gebäude muss die Klimaziele im Alleingang erreichen. Vielmehr kommt es auf die Zusammenarbeit an – im Quartier, in der Stadt und überregional. Nur durch koordinierte Maßnahmen und das gemeinsame Handeln aller Akteure kann die Wärmewende gelingen – und damit ein entscheidender Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden.
Welche größten Hürden begegnen Ihnen in der Praxis, wenn es darum geht, energetische Sanierungen im Bestand klimafit und wirtschaftlich zugleich umzusetzen?
In der Praxis stehen wir bei energetischen Sanierungen im Gebäudebestand vor einer Vielzahl an Herausforderungen.
Finanzielle Hürden
Ein zentrales Problem ist die Finanzierung: Eigentümerinnen und Eigentümer sehen sich häufig mit hohen Investitionskosten konfrontiert. Förderprogramme sind zwar vorhanden, werden jedoch oft als unübersichtlich oder schwer zugänglich wahrgenommen. Die Wirtschaftlichkeit energetischer Maßnahmen ist zudem nicht immer unmittelbar ersichtlich, da sich die Investitionen meist erst langfristig auszahlen.
Technische und bauliche Einschränkungen
Gerade bei historischen oder denkmalgeschützten Gebäuden stoßen Sanierungsmaßnahmen an technische Grenzen. Die Integration moderner Heizsysteme oder effizienter Dämmmaßnahmen erfordert hier oft kreative, individuelle Lösungen.
Informationsdefizite und Beratungsbedarf
Ein Mangel an verlässlichen Informationen und unabhängiger Beratung führt häufig zu Unsicherheiten bei Eigentümern – was die Umsetzung zusätzlich verzögert. Zielgerichtete Aufklärungsarbeit ist daher unerlässlich.
Komplexe Abstimmungsprozesse
Die energetische Sanierung betrifft meist mehrere Akteursgruppen – Eigentümer, Mieter, Handwerksbetriebe und Planer. Die Koordination und Kommunikation zwischen diesen Beteiligten sind oftmals komplex und zeitaufwändig.
Akzeptanz und Bewusstsein in der Bevölkerung
Ein weiteres Hindernis ist die teils fehlende gesellschaftliche Akzeptanz. Vielen Menschen sind weder die Dringlichkeit noch die langfristigen Vorteile energetischer Sanierungen ausreichend bewusst. Hier braucht es gezielte Informationskampagnen und niedrigschwellige Angebote zur Aufklärung.
Trotz dieser Hürden ist es entscheidend, energetische Sanierungen konsequent voranzutreiben Nur so können wir unsere Klimaziele erreichen und den Gebäudebestand langfristig zukunftsfähig und klimafreundlich gestalten.
Welche konkreten Instrumente oder Strategien setzen Sie in Essen ein, um Eigentümer*innen, Wohnungswirtschaft und Handwerk für ganzheitliche und zukunftsfähige Sanierungskonzepte zu gewinnen und die Hemmschwelle zur Sanierung so gering wie möglich zu machen?
In Essen setzen wir vielfältige Instrumente und Strategien ein, um Eigentümerinnen und Eigentümer, die Wohnungswirtschaft sowie das Handwerk für ganzheitliche und zukunftsfähige Sanierungskonzepte zu gewinnen. Ziel ist es, Hemmschwellen abzubauen und die Umsetzung energetischer Sanierungen zu erleichtern.
Ein zentrales Element ist der Klimatreff der Grünen Hauptstadt Agentur. Über die Website www.essen.de/klimatreff bieten wir umfassende Beratungs- und Informationsangebote an. Interessierte können sich dort über Förderprogramme, technische Lösungen und Best-Practice-Beispiele informieren.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist die enge Zusammenarbeit mit der Klima-Akademie der Kreishandwerkerschaft Essen (www.klimaakademie-essen.de). Hier werden Schulungen und Weiterbildungen für Handwerksbetriebe angeboten, um das Fachwissen im Bereich energetischer Sanierungen zu vertiefen und moderne Techniken praxisnah zu vermitteln. Über die Website der Kreishandwerkerschaft Essen (www.lokaleshandwerk.de/kh/kreishandwerkerschaft-essen) finden Bürger zudem gezielt qualifizierte Fachbetriebe für ihre Sanierungsprojekte.
Darüber hinaus fördern wir aktiv die Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Eigentümerinnen und Eigentümern, der Wohnungswirtschaft und dem Handwerk. Regelmäßige Veranstaltungen und Workshops dienen dem Austausch von Erfahrungen und Wissen – und schaffen Impulse für gemeinsame Projekte.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Beratung zur Finanzierung. Wir unterstützen bei der Beantragung von Fördermitteln und informieren über Finanzierungsmöglichkeiten, um die wirtschaftliche Machbarkeit von Sanierungen zu verbessern.
Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen sensibilisieren wir die Bevölkerung für die Dringlichkeit und die Vorteile energetischer Sanierungen. Wir zeigen erfolgreiche Praxisbeispiele auf und machen die positiven Effekte für Eigentümer, Mieter und die Umwelt sichtbar.
All diese Maßnahmen tragen dazu bei, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in dem energetische Sanierungsprojekte leichter initiiert und erfolgreich umgesetzt werden können.
Welche Förderungsmöglichkeiten habe ich als Hausbesitzer in Essen und wo kann ich mich entsprechend Informieren, welche Förderungen ich erhalten kann?
Fördermöglichkeiten für energetische Sanierungen in Essen
Als Hausbesitzerin oder Hausbesitzer in Essen stehen Ihnen verschiedene Förderprogramme zur Verfügung, die energetische Sanierungen finanziell unterstützen. Die Stadt Essen bietet ein „Förderprogramm für die energetische Gebäudemodernisierung“ an. Darüber hinaus unterstützt das Land Nordrhein-Westfalen verschiedene Initiativen, wie beispielsweise das Programm „Modernisierung von Wohngebäuden“ über die NRW.BANK. Auch die „Bundesförderung für effiziente Gebäude“ (BEG) ist eine wichtige Fördermaßnahme. Zudem gibt es steuerliche Förderungen durch das Einkommensteuergesetz (§ 35c) auf Bundesebene.
Kommunale Förderung durch die Stadt Essen
Die Stadt Essen bietet gezielte Sanierungsförderungen, die auf die lokalen Gegebenheiten und Bedürfnisse zugeschnitten sind. Detaillierte Informationen zu den Programmen finden Sie auf der städtischen Website unter www.essen.de/sanierung
Hier erhalten Sie einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten, Ihre Sanierungsvorhaben kostengünstiger umzusetzen.
Beratung durch den KlimaTreff
Der KlimaTreff der Grünen Hauptstadt Agentur unterstützt Sie bei der Orientierung im Förderdschungel. Unter www.essen.de/klimatreff finden Sie umfassende Informationen zu verfügbaren Förderprogrammen, technischen Lösungen sowie erfolgreiche Praxisbeispiele. Eine persönliche Beratung hilft Ihnen, passende Programme für Ihr Sanierungsvorhaben auszuwählen.
Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG)
Auf Bundesebene steht Ihnen die BEG (Bundesförderung für effiziente Gebäude) zur Verfügung. Dieses Förderinstrument unterstützt u. a. Maßnahmen wie:
• Dämmung von Dach, Fassade oder Keller
• Austausch oder Modernisierung von Heizungsanlagen
• Einsatz erneuerbarer Energien (z. B. Wärmepumpen, Solarthermie). Die Förderung erfolgt teils als Zuschuss, teils als zinsgünstiges Darlehen.
Landesförderung durch progres.nrw
Ergänzend dazu bietet das Land Nordrhein-Westfalen mit progres.nrw ein eigenes Förderprogramm. Dieses unterstützt Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz sowie zur Nutzung erneuerbarer Energien – insbesondere im Gebäudebereich.
Mehr Informationen dazu finden Sie auf den Seiten des NRW-Wirtschaftsministeriums.
https://www.bra.nrw.de/energie-bergbau/foerderprogramme-fuer-klimaschutz-und-energiewende
Wie stellen Sie sicher, dass heutige Sanierungen nicht nur aktuellen Anforderungen genügen, sondern auch langfristig kompatibel mit zukünftigen Energieinfrastrukturen wie z. B. dem kommunalen Wärmeplan oder dem Wasserstoffkernnetz sind?
Zukunftsfähige Sanierungen – heute effizient, morgen kompatibel
Um sicherzustellen, dass energetische Sanierungen nicht nur heutigen Anforderungen genügen, sondern auch mit zukünftigen Energieinfrastrukturen kompatibel bleiben, verfolgen wir eine ganzheitliche und zukunftsorientierte Herangehensweise.
Reduzierter Energiebedarf – unabhängig von der Heiztechnologie
Sanierte Gebäude verbrauchen deutlich weniger Energie – unabhängig davon, ob sie mit Wärmepumpen, Fernwärme oder künftig mit Wasserstoff beheizt werden. Die Senkung des Energiebedarfs führt unmittelbar zu geringeren Heizkosten und ist ein entscheidender Schritt hin zu mehr Klimaschutz.
Effizienz als Schlüssel
Besonderes Augenmerk liegt auf der effizienten Nutzung von Energie. Das ist vor allem in der Heizperiode wichtig, da der Anteil erneuerbarer Energien in dieser Zeit bislang noch vergleichsweise gering ist. Je niedriger der Verbrauch, desto leichter lässt sich ein Gebäude klimafreundlich betreiben.
Flexibilität für die Energiezukunft
Sanierungskonzepte werden so gestaltet, dass sie flexibel und anpassungsfähig bleiben. Dadurch wird gewährleistet, dass Gebäude auch langfristig mit neuen Energiequellen und Infrastrukturen kompatibel sind – etwa durch eine spätere Anbindung an ein Wasserstoffnetz oder den Wechsel der Heiztechnologie.
Langfristige Nachhaltigkeit
Die Kombination aus effizienter Sanierung und vorausschauender Planung ermöglicht es, Gebäude dauerhaft energieeffizient und nachhaltig zu betreiben. So schaffen wir die Voraussetzungen für eine zukunftssichere Wärmeversorgung in Essen – im Einklang mit den Klimazielen.
Was braucht es aus Ihrer Sicht – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich – damit das Sanieren im Bestand in der Breite wirklich zum Klimamotor wird und die Menschen diesen Weg aktiv mitgehen?
Politische Rahmenbedingungen
Stabile gesetzliche Grundlagen und gezielte Förderprogramme sind entscheidend, um Anreize für schnelles und effektives Handeln zu schaffen. Besonders wirksam sind Fördermodelle mit anfangs hohen Zuschüssen, die über die Zeit gestaffelt absinken – wie es etwa im BEG-Förderprogramm beim Heizungstausch erfolgreich umgesetzt wird.
Ein wichtiger Hebel wäre zudem die Förderung von Wärmepumpen auch dann, wenn eine bestehende Erdgasheizung zunächst weiter betrieben wird. Dadurch ließe sich der oft hemmende Sanierungsablauf durchbrechen, bei dem zuerst die Gebäudehülle ertüchtigt werden muss, bevor eine korrekt dimensionierte Wärmepumpe eingesetzt werden kann. Wird stattdessen die Wärmepumpe zuerst eingebaut und die Gebäudehülle später saniert, besteht das Risiko einer Überdimensionierung – was sowohl ineffizient als auch teuer ist.
Wirtschaftliche Anreize
Fördermaßnahmen müssen so ausgestaltet sein, dass sie Investitionen in energetische Sanierungen wirtschaftlich attraktiv machen – für private Eigentümer ebenso wie für die Wohnungswirtschaft. Transparenz, Planungssicherheit und eine einfache Antragstellung sind dabei zentrale Erfolgsfaktoren.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Neben der finanziellen und technischen Unterstützung ist die gesellschaftliche Dimension zentral: Nur wenn ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ entsteht, werden Klimaschutz und Sanierung zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Veranstaltungen wie „KlimaFIT im Bestand – Sanieren mit Weitblick“ oder der KlimaTreff der Grünen Hauptstadt Agentur leisten hier einen wichtigen Beitrag. Sie informieren verständlich, motivieren zur Umsetzung und fördern den Austausch unter Bürgerinnen und Bürgern.
Qualifizierung im Handwerk
Nicht zuletzt ist die kontinuierliche Weiterbildung in den Handwerksbetrieben essenziell. Nur mit qualifizierten Fachkräften lassen sich Sanierungsprojekte effizient, hochwertig und im Sinne der Klimaziele umsetzen. Programme wie die Klima-Akademie der Kreishandwerkerschaft Essen sind daher ein zentraler Baustein für die praktische Umsetzung der Wärmewende.
Fazit:
Eine erfolgreiche Sanierungsoffensive braucht politische Klarheit, wirtschaftliche Anreize, gesellschaftliches Mitziehen und fachliche Kompetenz. Nur im Zusammenspiel dieser Faktoren wird die energetische Sanierung im Bestand zur tragenden Säule einer klimaneutralen Zukunft. Genau darum arbeiten wir gemeinsam mit allen Konsortialpartnern im SmartQuart Projekt an den Zielen.

Hier zum Bürgerdialog anmelden: https://www.eventmanagement-eon.com/Buergerdialog